Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 9 vom 21.9.2023

Ulrike Reichart, Bundesverband Deutscher Stiftungen

(Bürger-) Stiftungen in Deutschland

Inhalt

Einleitung
Mitmachen
Rahmenbedingungen
Bürgerstiftungen und Demokratie
Ausblick
Autorin
Redaktion

Einleitung

Die Geschichte der Stiftungen in Deutschland reicht über 500 Jahre zurück. Die Fugger’sche Stiftung in Augsburg war eine der ersten. 1521 von Jakob Fugger, einem wohlhabenden Kaufmann und Bankier, ins Leben gerufen, engagiert sie sich in sozialen und karitativen Bereichen. Heute ist sie eine von rund 25.000 rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts in Deutschland. Unter diesen Stiftungen sind viele, die von Einzelpersonen und Unternehmen gegründet wurden und die sich für unterschiedliche gesellschaftliche Themen einsetzen. Darunter sind auch rund 400 Bürgerstiftungen. Sie sind die Newcomer in der Stiftungswelt. Die erste Bürgerstiftung wurde 1996 nach dem Vorbild der amerikanischen Community Foundation in Gütersloh gegründet. Als Stiftungstyp sind sie im Unterschied zu anderen Stiftungen dynamisch und vielfältig, weil es viele Stifter*innen gibt und sie auf Wachstum angelegt sind, d.h. kontinuierlich Stiftungskapital aufbauen.

Mitmachen

Die gute Botschaft ist, dass mit den Bürgerstiftungen auch das Stiften für alle zugänglich geworden ist. In Bürgerstiftungen geht es ausdrücklich ums Mitmachen. Nicht nur als Stifter*in oder in den Gremien. Es geht um die Beteiligung der Bürger*innen vor Ort und um den Aufbau von »Engagementkapital«, also die Investition in Menschen, die bereit sind, ihre Zeit der Projektarbeit der Bürgerstiftung zur Verfügung zu stellen. Dabei spielt die geografische Nähe eine wichtige Rolle – der Aktionsradius einer Bürgerstiftung ist nämlich lokal – sie schafft Vertrauen, sowohl zueinander als auch zu den selbst durchgeführten bzw. den Förderprojekten, die nur wenige Straßen weiter stattfinden. Diese Nähe ist es auch, die ein Schlüssel zur Wiederbelebung der Demokratie sein kann.

Rahmenbedingungen

Als die ersten Engagierten sich 1996 auf den Weg zur Gründung machten, war der Boden für diese Art des Engagements bereitet. Gerade war die Mauer gefallen, der Sozialstaat schränkte seine Leistungen ein – die Übernahme von Eigenverantwortung und das Engagement eines jeden Einzelnen waren mehr denn je gefragt. Die sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen sind seither nicht weniger geworden. Krieg, Flüchtlingskrise, Pandemie verändern uns und unserer Gesellschaft. Bürgerstiftungen spüren das unmittelbar. Sie leisten Krisenhilfe, koordinieren und motivieren Engagierte und legen Notfall-Fonds auf. Was politische Meinungsäußerungen betrifft, halten sie sich zurück, denn sie sind per se und ausdrücklich unabhängig von Einzelinteressen, so auch von parteipolitischen. 2017, nach den herausfordernden Erfahrungen der Flüchtlingssituation haben sie sich aber als Gruppe zu einer Erklärung entschlossen, die ihre Wertebasis und ihr Selbstverständnis beschreibt. Die »Selbstverpflichtung für Demokratie, Menschenwürde und Vielfalt« beschreibt die Werte, die selbstverständlich scheinen, es aber eben nicht in jedem Winkel der Gesellschaft sind.

Bürgerstiftungen und Demokratie

Bürgerstiftungen sind aufgrund ihrer Struktur ein demokratisches Stiftungsmodell. In der praktischen Arbeit wenden Bürgerstiftungen verschiedene Methoden an, um die Demokratie direkt oder indirekt zu fördern. Dazu gehören vor allem die Durchführung und Finanzierung von Bildungsprojekten und die Förderung von Beteiligung durch Bürgerdialoge, Bürgerparlamente oder Runde Tische. Bei den Runden Tischen entwickeln engagierte Bürger*innen gemeinsam Lösungen für akute Themen einer Kommune. Die Bürgerstiftung, als unabhängige Engagement-Plattform, moderiert dabei. Ausgangspunkt sind Fragen wie: Wie können Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit besser unterstützt werden? Wie schafft man es, dass auch Menschen ohne Geld ins Theater und ins Museum gehen können? Wie erfahren alle Bürgerinnen und Bürger von palliativen Angeboten in der Stadt? Eine weitere hervorragende Methode, die den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort im Fokus hat, kommt von unseren kanadischen Kolleg*innen. Sie heißt «Vital Signs« (auf Deutsch: Lebenszeichen) und wurde auch in anderen Ländern von Community Foundations adaptiert. In Deutschland nennen wir es »Impuls«. Impuls funktioniert so, dass die Bürgerstiftung vorhandenes lokales Wissen zu einem bestimmten Thema zusammentragen, dafür vorhandene Daten nutzen und sie anschaulich und übersichtlich aufbereiten. Spannend wird es, wenn dieses faktenbasierte Bild im Anschluss mit Bürger*innen diskutiert wird und hier mit gefühltem Wissen zusammenkommt – Das Prinzip lautet kurz gesagt »Analyse, Dialog, Engagement«. Daraus entstehen interessante und lesenswerte Reporte und Projekte! In Hamburg zu den Themen Bildung, Integration und Umwelt. In Braunschweig zu den 17 UN-Nachhaltigkeitszielen.

Ausblick

Mit den Bürgerstiftungen sind die Zeit-, Geld- und Ideenstifter ganz normale Menschen geworden, deren Engagement sich addiert. Würde man ihr Engagement mit Mindestlohn bezahlen, könnte keine Großstiftung aus ihren Vermögenserträgen das finanzieren, was jeden Tag im »Stiften von unten« passiert. Wohin kann dieser Ansatz und dieses dynamische Wachstum führen? Schauen wir in die USA, die Geburtsstätte der Community Foundations, nach Cleveland Ohio. Die Cleveland Community Foundation wurde vor mehr als 100 Jahren gegründet. Sie hat mittlerweile ein Gesamtvermögen von 3,2 Milliarden Dollar mit einer Gesamt-Fördersumme von 124 Millionen Dollar. Auch wenn das unvorstellbar groß klingt, das Potenzial zu wachsen und damit für eine dynamische Entwicklung gibt es überall. Und wer weiß, was in hundert Jahren in Heilbronn, in Ahrensburg oder Halle ist?! Wie viele Bürger*innen sich noch entschließen mitzustiften, ihre Testamente zu Gunsten der dortigen Bürgerstiftung machen und damit dazu beitragen, dass hier nachhaltige und unabhängige zivilgesellschaftliche Engagement-Infrastrukturen entstehen, die das Potenzial haben, Beteiligung und Demokratie erlebbar zu machen und Gutes zu bewirken!


Beitrag in den Europa-Nachrichten Nr. 9 vom 21.9.2023
Für den Inhalt sind die Autor\\*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autorin

Ulrike Reichart ist Leiterin des Bündnisses der Bürgerstiftungen Deutschlands.

Kontakt: ulrike.reichart@stiftungen.org

Weitere Informationen: www.buergerstiftungen.org


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