Zivilgesellschaft in Ostdeutschland – wie Staat und Stiftungen demokratisches Engagement gemeinsam stärken können
Olaf Ebert, Stefan Vogt
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Spezifik Ostdeutschland
2.1. Zivilgesellschaft unter Druck
3. Befunde aus einer Studie zur Engagementförderung in Ostdeutschland
3.1. Angleichende Entwicklung der Engagementquoten
3.2. Zivilgesellschaftliche Strukturen
3.3. Engagementfördernde Strukturen
4. Strategien und Empfehlungen zur Engagementförderung in Ostdeutschland
4.1. Engagementförderung als zentrale Maßnahme in der Raumordnungspolitik verankern
4.2. Entwicklung von Engagementstrategien
4.3. Informelle Strukturen stärken
4.4. Stiftungsinitiative zur Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements
5. Fazit
Literatur
Autoren
Redaktion
1. Einleitung
In Ostdeutschland engagiert sich eine stärker werdende Zivilgesellschaft für Demokratie, Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wird zunehmend als Grundlage für unser demokratisches Zusammenleben anerkannt und durch Bund, Länder und Kommunen sowie Stiftungen gestärkt. Sie fußt auf den Transformationserfahrungen nach der Wiedervereinigung, die den Menschen vor Ort viel Kraft und Ideenreichtum abverlangte, sich auf die neuen gesellschaftlichen Bedingungen einzustellen. Hierin liegt eine besondere Stärke: Die ostdeutsche Zivilgesellschaft ist anpassungsfähig und versteht es, mit wenigen Ressourcen effizient und zielgerichtet an der Verbesserung der Lebensbedingungen zu arbeiten.
Zugleich ist unübersehbar, dass Parteien, Kirchen und zivilgesellschaftliche Strukturen – wesentliche Stützen einer lebendigen Demokratie – deutlich schwächer in der ostdeutschen Bevölkerung verankert sind und die Distanz zu Parlamenten und Regierungen hier deutlich größer ist. Dieser Beitrag skizziert die Stärken und Herausforderungen der ostdeutschen Zivilgesellschaft und zeigt Empfehlungen zur Engagement- und Demokratieförderung sowie Handlungsperspektiven für eine neue Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Ostdeutschland auf.
2. Die Spezifik Ostdeutschland
Der Blick auf die aktuellen zivilgesellschaftlichen Strukturen und Kontextbedingungen in Ostdeutschland erfordert einen Rückblick auf die postsozialistischen Transformationsprozesse in den »neuen« Bundesländern. Der Anschluss der DDR an den Geltungsbereich des Grundgesetzes setzte eine Vielzahl von Ereignissen in Gang, die Ostdeutschland nachhaltig prägen: Der Niedergang des ostdeutschen Wirtschaftssystems führte zu stark steigender Abwanderung von circa 1,7 Millionen Menschen. Westdeutsche Eliten besetzen (bis heute) die Spitzen in Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Auch der Ausbau der zu DDR-Zeiten bereits vorhandenen rechtsextremen Organisationen durch westdeutsche Kader ist ein Nachwendephänomen. Die Einführung der Marktwirtschaft passierte mit einer solchen Geschwindigkeit, dass sich bei vielen, deren Jobs von der Treuhand abgewickelt wurden, am Ende ein Gefühl des »Abgehängtseins« einstellte. Was häufig blieb, war ein diffuses Empfinden, »nicht gut genug zu sein«, und der Zorn auf »die da drüben«, verbunden mit einem alten Zorn auf »die da oben«. Die zu DDR-Zeiten wenig entwickelte Konfliktfähigkeit erschwerte das langfristige Erkämpfen neuer Formen des Zusammenwachsens, bei dem beide deutsche Gesellschaften in langen Verhandlungen ihr Bestes hätten einbringen können. Auch wenn sich die Wohlstandsentwicklung im Osten nachweislich positiv entwickelt hat, ist sie in der subjektiven Wahrnehmung bei vielen nicht angekommen.
Trotz alledem engagiert sich eine immer stärker werdende ostdeutsche Zivilgesellschaft für mehr Demokratie und Lebensqualität. Sie steht heute vor neuen Herausforderungen durch das Erstarken des parlamentarischen Erfolgs einer in weiten Teilen rechtsextremen Partei. Diese macht Stimmung gegen die menschenrechtlich Engagierten, oft mit Erfolg. Hinzu kommt, dass rechtsextreme Akteure zunehmend zivilgesellschaftliche Strukturen im Bereich Heimat- und Naturschutz aufbauen oder vorhandene Vereine unterwandern, um zu Mittelempfänger*innen staatlicher Programme zu werden.
Diese Auswirkungen der Wiedervereinigung sind bis heute auch in den zivilgesellschaftlichen Strukturen spürbar. Abwanderung und Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft sorgen bis heute, insbesondere in den ländlichen Räumen, für klamme Kassen. Pflichtaufgaben der Kommune müssen vorrangig behandelt werden, während Ausgaben für Jugend, Wohlfahrtspflege und zivilgesellschaftliches Engagement häufig einem Spardiktat unterworfen sind.
Gebietsreformen in nahezu allen ostdeutschen Ländern führten außerdem zu weiten Wegen und einer lokalen Identitätsentwertung. Unter diesen Rahmenbedingungen versuchen verschiedene Akteure der Zivilgesellschaft, die Fehlstellen staatlichen Handelns mit freiwilligem Engagement und Ehrenamt zu schließen. Die Strukturen, die es dafür braucht, mussten nach der Wiedervereinigung neu geschaffen werden. Traditionslinien bestanden kaum, da zivilgesellschaftliches Engagement – jenseits der staatlichen Kontrollsphäre – in der DDR unerwünscht war und reglementiert wurde. Hinzu kommen eine Unerfahrenheit und fehlendes Vertrauen staatlicher Akteure im Umgang mit Zivilgesellschaft auf kommunaler Ebene. Beteiligungskultur ist ein Lernfeld, das bis heute in vielen ländlichen Strukturen noch etabliert werden muss. So ist die Lage für kleinere zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort oft mühselig und von starker Vereinzelung geprägt. Zivilgesellschaftliche Strukturen sind insgesamt deutlich schwächer ausgeprägt als in westdeutschen Bundesländern.
2.1. Zivilgesellschaft unter Druck
Die wirtschaftliche Lage, die prekäre Grundsicherung, die gesellschaftlich unbearbeitete emotionale Betroffenheit und die fehlenden Traditionslinien bürgerschaftlichen Engagements schaffen ein besonders anfälliges Klima für populistische Vereinnahmungen. Die Strukturschwäche demokratischer Instanzen war und ist ein Einfallstor für zivilgesellschaftliche Angebote von Rechtsextremen. Während sich die ohnehin schwachen demokratischen Vereine und Initiativen mehr und mehr aus den ländlichen Gebieten zurückzogen, wurde diese Lücke durch Engagement- und Erklärmomente von rechtsextremen Initiativen gefüllt.
Die schleichende Raumgreifungsstrategie der Rechtsextremen zeigte Wirkung: In einigen Orten dominieren sie sogar die Meinungs- und Wahrnehmungshoheit und haben etablierte Strukturen durchdrungen. Für eine Mehrheit in diesen ländlichen Räumen hat sich daraus eine neue Normalität entwickelt, deren menschenverachtender Kern selten hinterfragt wird. Gleichzeitig sorgt diese Raumgreifung dafür, dass Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander einsetzen, in der Wahrnehmung der Bevölkerung dem linken bis linksextremen Spektrum zugerechnet werden, was weitere Ablehnungsreflexe hervorruft. Rechte Dominanzstrukturen haben sich in ländlichen Gebieten so kultiviert, dass eine Unterstützung demokratischer Initiativen, die Übergriffen und Anfeindungen ausgesetzt sind, vonseiten der Kommunen zunehmend ausbleibt. Begünstigt wird dies noch dadurch, dass die AfD in vielen ländlichen Gemeinden und einigen Landkreisen auch die Kommunalparlamente dominiert. Wiederkehrende Anfragen zur Legitimation demokratischer Initiativen auf kommunaler oder Landesebene erschweren deren Förderung zusätzlich und erhöhen den Druck auf die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort.
3. Befunde aus einer Studie zur Engagementförderung in Ostdeutschland
Zwei gegenläufige Trends prägen die heutige Engagementlandschaft in Ostdeutschland: Auf der einen Seite klagen viele traditionsreiche Verbände und Vereine über einen Rückgang des Ehrenamtes in ihren Organisationen. Auf der anderen Seite entstehen vielerorts neue Vereine, junge Initiativen und Einrichtungen zur Engagementförderung, die projekt-, themen- und anlassbezogen eine wachsende Anzahl freiwillig Engagierter gewinnen.
Während die Engagementbereitschaft besonders in Krisenzeiten sehr hoch ist, finden viele Menschen in Ostdeutschland noch zu wenig Möglichkeiten, die vielfältigen gesellschaftlichen Herausforderungen durch ihr Engagement aktiv anzugehen. Hier zeigt sich, wie notwendig eine funktionierende Infrastruktur zur Engagementförderung ist.
Die Stiftung Bürger für Bürger hat mit Unterstützung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt diese Trends und Entwicklungen im Rahmen einer Studie analysiert (vgl. Krimmer et al. 2022). Sie werden hier nur kurz skizziert:
3.1. Angleichende Entwicklung der Engagementquoten
Die Engagementquoten der Bundesländer in Ost und West unterscheiden sich nach wie vor voneinander. Die Anteile für Westdeutschland liegen mit 46 Prozent immer noch signifikant über denen für Ostdeutschland (39,5 Prozent). Diese Gruppenbetrachtung verdeckt aber, dass es sowohl innerhalb der westdeutschen als auch der ostdeutschen Bundesländer zu teils beträchtlichen Unterschieden kommt (vgl. ebd., S. 24). Die Spanne reicht innerhalb der Gruppe der ostdeutschen Bundesländer von 37,1 Prozent in Sachsen-Anhalt bis zu 42,9 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem lässt diese Momentbetrachtung unberücksichtigt, dass es in den vergangenen 15 Jahren, für die eine Messung durch den Freiwilligensurvey vorliegt, zu einer Angleichung der Entwicklung in Ost und West gekommen ist (vgl. ebd.).
Allerdings ist die Ländlichkeit – also eine geringe Einwohner*innendichte und ein geringerer Einwohner*innenanteil in Groß- und Mittelstädten – ein charakteristisches Merkmal für die ostdeutschen Bundesländer. Diese Ungleichverteilung bildet sich im Freiwilligensurvey 2019 besonders deutlich ab: Während 71,8 Prozent aller Engagierten in Westdeutschland in eher urbanen Gebieten engagiert sind, trifft das nur auf 29,4 Prozent der Engagierten in Ostdeutschland zu. Dafür liegt der Anteil der Engagierten in ländlichen Räumen Ostdeutschlands mit 70,6 Prozent auf einem vergleichbaren Wert wie jener der Engagierten in städtischen Gebieten in Westdeutschland.
3.2. Zivilgesellschaftliche Strukturen
Auch bei der Anzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen ist es in den vergangenen 30 Jahren zu einer angleichenden Entwicklung gekommen. Das zeigt sich bereits an der Dichte der gemeinnützigen Vereine auf lokaler Ebene in Ost und West. In Ostdeutschland hat der Strukturwandel der organisierten Zivilgesellschaft jedoch eine besondere Ausprägung, da nur ein geringer Teil der Organisationen vor 1989 existierte. Die Organisationslandschaft ist vergleichsweise jung und damit sowohl von einem Systemwechsel als auch einer darauffolgenden Transformationsperiode geprägt (vgl. ebd., S. 33).
Wirft man einen Blick auf jenen Teil der Zivilgesellschaft, die selbst über Kapital verfügt, nämlich Stiftungen bürgerlichen Rechts, zeigt sich ein ähnlich gravierendes Bild im Ost-West-Vergleich: Nur 7,3 Prozent aller Stiftungen sitzen in Ostdeutschland (exklusive Berlin) und 88,6 Prozent in Westdeutschland (vgl. Burghardt und Müller 2023, S. 3).
Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung zeigt sich ein immer noch erheblicher Rückstand Ostdeutschlands im Bestand und bei den Neugründungen von Stiftungen. Der deutlich geringere Stiftungsbestand lässt sich insbesondere auf den wirtschaftlichen Rückstand nach der Wiedervereinigung und die anhaltend geringere Vermögensbildung in östlichen Bundesländern zurückführen. Zwar differenziert sich das Bild, wenn man einzelne Regionen in Ost und West direkt vergleicht, aber was bleibt ist, dass hier deutlich weniger nicht-staatliches Geld zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft eingesetzt werden kann als im Westen. Diese erhöhte Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln verschärft sich in den Regionen, in denen die AfD auf kommunaler Ebene bereits entscheidende Mehrheiten organisieren kann, um im Prozess der Mittelvergabe Einfluss zu nehmen. Auch hier ist es wichtig, die kontinuierliche ökonomische und strukturelle Weiterentwicklung strukturschwacher Regionen im Osten voranzutreiben, um auch den für Stiftungsgründungen nötigen Kapitalstock zu schaffen bzw. zu erhöhen (vgl. ebd.).
3.3. Engagementfördernde Strukturen
Neben qualifizierten Freiwilligenkoordinator*innen in zivilgesellschaftlichen Organisationen zählen stabile Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und Kommunen sowie bereichsübergreifende Einrichtungen wie Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen, Mehrgenerationenhäuser zu wichtigen Strukturen der Engagementförderung.
Obwohl in Ostdeutschland solche engagementfördernden Einrichtungen nur in geringerem Maß vorhanden sind, liegt der Anteil der über diese Einrichtungen ins Engagement gekommenen Befragten (mit 10,5 Prozent) sogar leicht über dem in Westdeutschland (9,4 Prozent) (vgl. Krimmer et al. 2022, S. 39 ff.). Verbesserungsbedarfe bei »der besseren Information und Beratung über Gelegenheiten zum ehrenamtlichen oder freiwilligen Engagement« werden in Ost und West nahezu identisch gesehen: circa 59 Prozent sehen hier Handlungsbedarf.
Rund 3.400 engagementfördernde Einrichtungen wurden im Generali Engagementatlas 2015 bundesweit gezählt, darunter 663 Einrichtungen in den ostdeutschen Bundesländern. Bis 2020 ist die Anzahl engagementfördernder Einrichtungen in Ostdeutschland nur geringfügig auf 711 angewachsen. Die Einrichtungen verteilen sich in Ostdeutschland allerdings überwiegend auf Städte und Gemeinden von mehr als 10.000 Einwohner*innen, in denen aber nur 58 Prozent der Bevölkerung leben. 42 Prozent der Bevölkerung in Ostdeutschland leben also in kleinen Orten, bislang ohne engagementfördernde Einrichtung.
Auffällig ist bis heute die regional sehr unterschiedliche Verteilung der verschiedenen Einrichtungstypen über die Bundesländer, Landkreise und kreisfreien Städte hinweg. Ob Mehrgenerationenhaus, Selbsthilfekontaktstelle, Seniorenbüro oder Freiwilligenagentur, kommunale Stabsstelle oder Bürgerstiftung – kein Typus konnte sich flächendeckend durchsetzen (vgl. ebd.).
4. Strategien und Empfehlungen zur Engagementförderung in Ostdeutschland
Die Engagementpolitik in den ostdeutschen Bundesländern hat zu je eigenen landesspezifischen Ausprägungen geführt, da sie an unterschiedliche Kontexte anknüpft und teilweise sehr verschiedene Zielsetzungen verfolgt.
Einzelne Bundesländer haben eigene landesweite Strukturen zur Engagementförderung aufgebaut, zum Beispiel Ehrenamtsstiftungen. Andere fördern an gleicher Stelle zivilgesellschaftliche Landesnetzwerke und Arbeitsgemeinschaften und setzen auf die Stärkung lokaler Netzwerkstrukturen zur Engagementförderung. Das synergetische Zusammenspiel einer starken intermediären Landesstruktur mit einer vernetzten lokalen Infrastruktur ist aber in allen ostdeutschen Bundesländern ausbaufähig.
4.1. Engagementförderung als zentrale Maßnahme in der Raumordnungspolitik verankern
Die Förderung von Einrichtungen der Engagementförderung sollte im strategischen Leitbild »Daseinsvorsorge sichern« der Raumordnungs- und Raumentwicklungspolitik von Bund und Ländern verankert werden. Dazu sollte die Förderung von Einrichtungen zur Engagementförderung auf der Ebene sogenannter Mittelzentren sichergestellt werden. Die Integration von Maßnahmen der Engagementförderung in Landes- und Regionalentwicklungspläne wäre zudem ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Ausgestaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse.
4.2. Entwicklung von Engagementstrategien
Engagementstrategien können das Vertrauen zwischen Zivilgesellschaft und Staat stärken. Dazu können zwei Wege der Entwicklung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft unterschieden werden: Vertrauen durch einen offenen Prozess einerseits sowie Vertrauen durch wirkungsvolle und konsequente Umsetzung gemeinsam ausgehandelter Entscheidungen andererseits. Bislang hat Sachsen-Anhalt als erstes ostdeutsches Bundesland eine Engagementstrategie entwickelt, Mecklenburg-Vorpommern startet gerade einen Beteiligungsprozess. Teil dieser Strategien muss es sein, demokratische zivilgesellschaftliche Strukturen auch über Projekte hinaus institutionell zu fördern, um auch dauerhaft Demokratie- und Engagementförderung als integralen Bestandteil des Landesinteresses zu verankern.
4.3. Informelle Strukturen stärken
In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Engagierten deutlich gestiegen, die sich nicht in Verbänden, Vereinen oder anderen gemeinnützigen Organisationen, sondern in Initiativen und Netzwerken organisieren. In Ermangelung einer eigenen Rechtsform (Verein etc.) sind solche Akteure nur bedingt förderfähig. Eine direkte Förderung durch Landes- und Bundesmittel konfligiert hier mit den Vorgaben der Landes- und Bundeshaushaltsordnungen.
Der Ausbau und Transfer neuer Modelle der Förderung von Engagementinitiativen aus privaten Mitteln, zum Beispiel durch Engagement- und Beteiligungsfonds von Stiftungen, ist daher besonders wichtig. Dazu sollten die Landesstrukturen und lokale Akteure wie Freiwilligenagenturen, Bürgerstiftungen etc. in die Mittelvergabe eingebunden werden, die für eine partizipative Förderung demokratischer Initiativen die notwendigen Erfahrungen und Voraussetzungen haben sowie das Engagement in Initiativen und informellen Netzwerkstrukturen auch durch Beratung, Begleitung und Vernetzung wirksam stärken können.
4.4. Stiftungsinitiative zur Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements
Um die demokratiestärkende Zivilgesellschaft in Ostdeutschland zu fördern, sollten Stiftungen, Staat, Wirtschaft und private Förderer möglichst Hand in Hand arbeiten.
Dabei müssen die aktuellen Erfahrungen der lokalen Zivilgesellschaft genauso in den Blick genommen werden wie aktuelle staatliche und private Förderprogramme. Es gilt, Bestehendes zielführend weiterzuentwickeln und Bedarfslücken zu schließen.
Dazu braucht es ein neues, langfristig wirksames Kooperationsformat zwischen den benannten Akteuren, um mehr Transparenz über die jeweiligen Strategien und Programme herzustellen sowie diese komplementär zu ergänzen. Im November 2022 fand dazu auf Einladung des Ostbeauftragten der Bundesregierung ein erstes Austauschtreffen verschiedener Stiftungen mit Bundestagsabgeordneten im Bundeskanzleramt statt. Dabei wurde über die Spezifik der ostdeutschen Engagementlandschaft und über die Rolle von Stiftungen bei der Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Ostdeutschland beraten.
Viele Stiftungen sind bereits in Ostdeutschland aktiv. Es scheint daher zielführend, die unterschiedlichen Aktivitäten und Zielstellungen untereinander transparent zu machen und miteinander abzustimmen. Daraus ist die Idee einer neuen Gemeinschaftsinitiative entstanden, in die sich Stiftungen, Politik und Wirtschaft gleichermaßen einbringen, um die Engagementlandschaft in Ostdeutschland langfristig wirksam zu stärken. Ziele der Gemeinschaftsinitiative sind:
• verlässliche und strukturelle Sicherheit in der Demokratie- und Engagementförderung zu schaffen, um den Boden für eine vitale Zivilgesellschaft vor Ort zu bereiten,
• demokratiefördernde Strukturen zu stärken, um rechtspopulistischen Argumentationen durch Selbstwirksamkeitserfahrungen zu begegnen, und
• das Stiftungsengagement zu stärken sowie Unternehmer*innen für die Idee des Stiftens in Ostdeutschland zu gewinnen.
Dazu wurden seit dem Auftakt in weiteren Gesprächen unter Beteiligung zahlreicher Stiftungen erste Maßnahmen identifiziert, die wirksame Schritte zur Erreichung dieser Ziele darstellen können (vgl. Stiftung Bürger für Bürger 2023).
5. Fazit
Es ist augenscheinlich, dass Förderungen von Staat und Stiftungen bislang einer Projektlogik folgen: zeitlich befristet, thematisch gebunden und auf einem Fundament von Unsicherheit. Dieses Paradigma sollte durch eine längerfristige Investition in demokratiefördernde zivilgesellschaftliche Strukturen abgelöst werden.
Gelingt es, dafür eine möglichst langfristige Strukturförderung zu etablieren, werden Räume geschaffen, in denen eigenes Fundraising, Mitgliedergewinnung, Ideenentwicklung für gesellschaftliche Herausforderungen und Öffentlichkeitsarbeit für die Schaffung von demokratischen Narrativen möglich werden. Außerdem werden so Zukunftsperspektiven für den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort eröffnet.
Darüber hinaus bedarf es vertrauensvoller Kommunikation und Kooperation zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft auf allen Ebenen. Die Handlungslogiken dieser Systeme funktionieren zum Teil sehr unterschiedlich. Oft fühlen sich einzelne Akteure missverstanden oder nicht ernst genommen. Es gilt, in diesen Lern-Netzwerken die Gemeinsamkeiten zu fokussieren und zu kultivieren, um ein nachhaltiges »Ökosystem« von Austausch, Verständnis und Vertrauen zu schaffen.
Im Rahmen dieser Kooperationen und Netzwerke ist die Entwicklung einer transparenten Beteiligungskultur unabdingbar. Das setzt im Wesentlichen ein Commitment der Verwaltungsspitze und der Gemeinderäte voraus, sich ernsthaft auf lokale Veränderungsprozesse einzulassen. Es geht um gegenseitiges Zuhören, um Augenhöhe und Vertrauen. Es geht auch darum, Verantwortung abzugeben, um damit die Autonomie der lokalen Akteure zu stärken. So wird kommunaler Rückhalt für demokratische Initiativen erleb- und lernbar. Aus diesen Grundideen sind vielerorts bereits wirksame Handlungsansätze und Formate gewachsen, die helfen, diese beschriebenen Prinzipien nachhaltig zu etablieren.
Zu guter Letzt gilt es auch, die Stiftungslandschaft in Ostdeutschland zu stärken, um die Abhängigkeit staatlicher Zuwendungen unter der Einflussnahme rechtspopulistischer Parteien abzumildern. Dazu ist es denkbar, westdeutsche Stiftungen im Osten zu filialisieren, Stiftungsprogrammatiken deutlich mehr auf die ostdeutsche Spezifik auszurichten oder in Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmer*innen die Gründung neuer Stiftungen mit Sitz in Ostdeutschland zu forcieren.
Literatur
Burkhardt, Luise/Müller, Kai-Uwe 2023: Die Stiftungslandschaft in Ostdeutschland im Ost-West-Vergleich. In: Stiftungsfokus Nr. 17, Stand 05/23, hg. v. Bundesverband Deutscher Stiftungen. Berlin. Online: (zuletzt geprüft am 12.6.2023).
Krimmer, Holger/Bischoff, Stefan/Gensicke, Thomas/Tahmaz, Birthe 2022: Engagementförderung in Ostdeutschland, hg. v. Stiftung Bürger für Bürger. Halle (Saale). Online: (zuletzt geprüft am 12.6.2023).
Simonson, Julia/Kelle, Nadiya/Kausmann, Corinna/Tesch-Römer, Clemens (Hg.) 2022: Freiwilliges Engagement in Deutschland. Empirische Studien zum bürgerschaftlichen Engagement. Der Deutsche Freiwilligensurvey 2019. Wiesbaden. Online: (zuletzt geprüft am 12.6.2023).
Stiftung Bürger für Bürger 2023: Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Ostdeutschland. Online: (zuletzt geprüft am 12.6.2023).
Beitrag im Newsletter Nr. 19 vom 28.9.2023
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.
Autor
Olaf Ebert ist Leiter der Stiftung Bürger für Bürger als Geschäftsführender Vorstand, Mitglied des Sprecher*innenrates des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und einer der Initiatoren der Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Ostdeutschland.
Kontakt: o.ebert@buerger-fuer-buerger.de
Weitere Informationen: https://www.buerger-fuer-buerger.de/
Stefan Vogt ist stellvertretender Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung und einer der Initiatoren der Gemeinschaftsinitiative zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements in Ostdeutschland.
Kontakt: stefan.vogt@freudenbergstiftung.de
Weitere Informationen: https://www.freudenbergstiftung.de/de/
Redaktion
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