Kooperation von gemeinnützigen Organisationen und kleinen und mittleren Betrieben – eine Demokratieperspektive für Europa?
Serge Embacher
Inhalt
Kooperation von gemeinnützigen Organisationen und kleinen und mittleren Betrieben – eine Demokratieperspektive für Europa?
Gemeinnützige Organisationen (Vereine, Verbände, Stiftungen…) sowie die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) stehen gleichermaßen vor gesellschaftlichen Veränderungen und großen Herausforderungen. Angesichts des Fachkräftemangels in der Wirtschaft und im Hinblick auf Nachwuchsprobleme, vor allem im klassischen Ehrenamt wird es immer wichtiger, vorhandene Möglichkeiten gemeinsam zu nutzen. Wertschätzende Personalführung, »lebenslanges Lernen«, systematische Planung, nachhaltiges Handeln und nicht zuletzt ein guter Umgang mit dem digitalen Wandel oder Vielfalt sind in beiden Sphären zunehmend gefragt. Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen kann es helfen, wenn gemeinnützige Organisationen mit kleinen und mittleren Unternehmen systematisch zusammenarbeiten – unterstützt von den intermediären Organisationen im Feld [2]. Die Kooperation kann für beide Seiten nutzbringend sein. Dazu braucht es neue Blickrichtungen und neue Handlungspfade auf beiden Seiten.
Die Zusammenarbeit zwischen Gemeinnützigen und KMU ist zunächst einmal sehr naheliegend, denn es geht oft um dieselben Menschen, die mit einem Bein im Arbeitsleben, mit dem anderen in der Zivilgesellschaft bzw. im bürgerschaftlichen Engagement stehen. Ihre Motivation und ihre Kompetenzen werden in beiden Sektoren gebraucht. Andererseits folgen gemeinnützige Organisationen sowie kleine und mittlere Unternehmen unterschiedlichen Zielen und bewegen sich in unterschiedlichen Kulturen. Die einen, die Menschen in den kleinen und mittleren Unternehmen, folgen den Regeln des Marktes, auf dem sie im internationalen Wettbewerb bestehen müssen. Die anderen, die Menschen in den gemeinnützigen Organisationen, bewegen sich auf dem Gebiet sozialer und humaner Anforderungen, die eine moderne Gesellschaft ausmachen. Und häufig sind es eben dieselben Menschen, die »tagsüber« im Erwerbsleben stehen und »nach Feierabend« einem freiwilligen Engagement nachgehen.
Zusammenarbeit zwischen beiden Sektoren bedeutet, dass man Vorbehalte überwindet und erkennt, dass in unserer Gesellschaft die eine Seite ohne die andere nicht existieren kann. Dabei sollte aber allen Beteiligten bewusst sein, dass jede Seite nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten handelt und dass jeder einen Vorteil von dieser Zusammenarbeit haben muss. Nur so kann das für dauerhafte Kooperationen erforderliche Vertrauen wachsen. Versucht man, die Unterschiede zwischen den beiden Sphären zu verwischen, wie das häufig im Zusammenhang mit Corporate Citizenship gemacht wird, kann eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe auf Dauer nicht funktionieren. Denn hier geht es Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen meistens nicht um Kooperation auf Augenhöhe, sondern um Philanthropie auf der einen und die bloße Suche nach Sponsoren auf der anderen Seite. Die unterschiedlichen Kulturen der Beteiligten werden dann zum Hindernis.
Einzelne gute Beispiele in Regionen zeigen jedoch, wie wirkungsvoll Kooperationen für alle Beteiligten sein können, wenn offen und verständnisvoll miteinander umgegangen und nicht so getan wird, als wäre ein Unternehmen dasselbe wie eine gemeinnützige Organisation (oder umgekehrt). Dann können beide Seiten wechselseitig profitieren: Schaut man exemplarisch nur auf Fragen der Personalentwicklung als einen von mehreren relevanten Bereichen, lässt sich zumindest die begründete Vermutung formulieren, dass unternehmerisches Engagement in der Zivilgesellschaft zu intensiveren Kontakten zu potenziellen Fachkräften und Auszubildenden führt, wodurch die Chancen der Personalrekrutierung steigen (»Beschäftigte werben Beschäftigte«). Ein sozial engagiertes Unternehmen steigert zudem die Personalbindung, die Unterstützung von Beschäftigten in ihrem gemeinnützigen Engagement verbessert ihre Motivation im Betrieb, weil sie sich besser wertgeschätzt fühlen. Verantwortungsübernahme in der Zivilgesellschaft fördert Persönlichkeitsbildung und damit Verantwortungsübernahme im Betrieb.
Umgekehrt profitieren auch die gemeinnützigen Organisationen, denn aktive Ehrenamtliche können sich über gezielte Besuche in Unternehmen zu Organisationsfragen qualifizieren. Durch interessante gemeinsame Projekte mit Unternehmen kann die gemeinnützige Organisation Ehrenamtliche aus den Unternehmen finden, begeistern und binden. Außerdem können Gemeinnützige auf spezifische Kompetenzen von Engagierten, die über deren Erfahrungen mit Unternehmen entstanden sind, zurückgreifen (IT-Wissen, Administration, Budgetierung, Personalführung, Arbeitsschutz, Qualitätssicherung usw.).
Die Schwierigkeit liegt darin, dass Kooperationen nicht nach dem Motto »One size fits all« funktionieren können. In jedem Fall muss die Kooperation spezifisch definiert und vorbereitet werden. Aber lohnend ist es auf jeden Fall, vor allem wenn man den Fokus aufzieht und auch die demokratiepolitische Komponente mit betrachtet. Das Engagement jedes Einzelnen ist eine Schule für das Erlernen von bürgerschaftlichen Tugenden wie Hilfsbereitschaft und Solidarität, Toleranz, wechselseitige Anerkennung und demokratisches Bewusstsein. Und dies sind auch – bei aller Markt- und Wettbewerbsorientierung – diejenigen Tugenden, die auch das Handeln ökonomischer Akteure begleiten sollten. Schließlich bewegen sich Unternehmen als Wirtschaftakteure ja nicht außerhalb der demokratischen Gesellschaft, sondern bestimmen und definieren sie im Gegenteil ganz entscheidend mit. So gesehen ist es für die Gesamtgesellschaft wichtig und relevant, wie sich Unternehmen und die in ihnen Tätigen zu Fragen der Vielfalt und anderen für die Demokratie zentralen Themen verhalten. Ja mehr noch: Gerade KMU mit ihren insgesamt vielen Millionen Beschäftigten tragen eine besondere Verantwortung für die täglich gelebte demokratische Grundhaltung.
Und hier ist schließlich der Berührungspunkt mit der europäischen Ebene. Die letzten Jahrzehnte mit massiven Integrationskrisen der Europäischen Union haben doch sehr deutlich gezeigt, dass Europa als reiner Wirtschaftsraum nicht funktionieren kann. Vielmehr bedarf es europäischer Bürgertugenden, aus denen sich die Vorstellung von einer gemeinsamen europäischen Solidargemeinschaft speisen kann. Doch diese Tugenden lassen sich nicht in Communiqués von Staatenlenkern, sondern nur in der gelebten täglichen Praxis in Wirtschaft und Gesellschaft herausbilden und stärken und festigen. Bündnisse zwischen KMU und gemeinnützigen Organisationen an sehr vielen europäischen Orten können dabei helfen, ein demokratisches Europa der Bürger*innen zu entwickeln. Ohne möglichst intensive Kooperationen »zwischen den Welten« wird das nur schwer möglich sein.
Endnoten
[1] Der folgende Text ist angelehnt an den Leitfaden »Zusammenarbeit gemeinnütziger Organisationen mit kleinen und mittleren Unternehmen in der Region«, den das BBE gemeinsam mit der Offensive Mittelstand im Herbst 2019 veröffentlicht hat. Online unter: https://www.b-b-e.de/fileadmin/Redaktion/06_Service/02_Publikationen/2019/2019-leitfaden-zusammenarbeit-offensive-mittelstand.pdf
[2] Intermediäre Organisationen = Arbeitsgeberverbände, Gewerkschaften, Kammern/Innungen, Berufs- und Fachverbände, Wirtschaftsförderung, Sozialversicherungen, Technologie-Beratungsstellen usw. Für die Zivilgesellschaft: Freiwilligenagenturen und -zentren, Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros, Bürgerstiftungen usw.
Autor
Dr. Serge Embacher ist Leiter des Bereichs Fachprojekte in der Geschäftsstelle des BBE.
Kontakt: serge.embacher@b-b-e.de
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