Newsletter Nr. 25 vom 15.12.2022

Mehr Beteiligung = mehr Klimaschutz?

Dr. David Löw Beer

Inhalt

Ziele von Beteiligung, Kritik an Beteiligung
Unzureichende Beteiligung und Information kann Umweltengagement auslösen
Beteiligungsprozesse gehen zulasten Nichtbeteiligter
1. Zufallsbasierte Auswahl von Teilnehmenden erhöht Gemeinwohlorientierung
2. Klimaschutz muss von Anfang an (ein) Ziel eines Beteiligungsprozesses sein
3. Beteiligung zu Themen, die gewählte Verantwortliche allein nicht lösen können
Weitere Erfolgsfaktoren und Fazit
Endnoten
Autor
Redaktion

Ziele von Beteiligung, Kritik an Beteiligung

Auch wenn es in einigen Bereichen des Klimaschutzes beachtliche Fortschritte gegeben hat, haben unsere demokratischen Staatswesen offensichtlich große Schwierigkeiten eine tiefgreifende Transformation oder weitgehende Verhaltensänderungen zu befördern. Eine Beteiligung von Bürger*innen an gesellschaftlichen Entscheidungen soll helfen dieses Problem zu lösen. Dadurch soll ein vernünftiger, gesellschaftlicher Konsens im Sinne des Gemeinwohls erzeugt werden und somit Legitimität und eine Aufbruchsstimmung für eine große Transformation entstehen. Außerdem soll die Demokratie gestärkt werden, indem sich das Verhältnis von Bürger*innen zur Demokratie und ihre Selbstwirksamkeitserwartungen verbessern. An Beteiligung gibt es aber auch viel Kritik: Komplexe Abwägungsprozesse ließen sich nicht auf einfache Entscheidungen reduzieren, an offenen Prozessen beteiligen sich vor allem diejenigen, die ökonomisch und vom Bildungshintergrund bessergestellt sind und es ist fraglich, ob Entscheidungen tatsächlich eher dem Gemeinwohl entsprechen, wenn sie durch Beteiligung und nicht durch eine repräsentative Entscheidung zustande gekommen sind. Für all diese Argumente gibt es Belege. Anhand von Beispielen werden im Folgenden Vorschläge gemacht, wann Beteiligung für Klimaschutz sinnvoll sein kann.

Unzureichende Beteiligung und Information kann Umweltengagement auslösen

Bei zahlreichen Planungsverfahren ist eine Beteiligung von Bürger*innen vorgeschrieben. Dabei geht es vor allem um Informationen und die Beantwortung von Fragen. Sollen etwa Tagebaue ausgeweitet werden, müssen Informationsveranstaltungen stattfinden. Zwei Personen aus der Lausitz berichten, dass sie sich vor einer solchen Veranstaltung nicht für Klimaschutz interessiert hätten. Als bei dieser dann der Braunkohlebetreiber und der Planungsverband auf dem Podium saßen und Fragen, etwa nach der Wasserqualität von Flüssen, kaum beantworteten und schließlich den beiden Lausitzer*innen sogar das Mikrophon abgenommen wurde, beschlossen sie sich zu engagieren und es gelang ihnen im Rahmen ihres Bündnisses, die geplante Erweiterung des Tagebaus zu verhindern. Die Geschichte der Umweltbewegung in BRD und DDR ist voll von Ereignissen, in denen sich Menschen begannen zu engagieren, weil sie staatlichen Informationen misstrauten oder sich unzureichend eingebunden fühlten.

Beteiligungsprozesse gehen zulasten Nichtbeteiligter

Dass auch gut gemachte Beteiligungsprozesse problematisch für Klima und Gemeinwohl sein können, beschreibt Jörg Sommer in seinem Newsletter anschaulich an Anwohner*innen eines kleinen Dorfes, die an einer Bundesstraße gegen Lärm und Abgase kämpften, weil täglich über 10.000 PKWs und LKWs durch ihren Ort fuhren. Nach einem mustergültigen Beteiligungsverfahren wurde für eine hohe zweistellige Millionensumme eine Umgehungsstraße realisiert. So wurden etwa 25 Familien entlastet, kleinere Ortsteile jedoch vom Ortszentrum abgetrennt. Die Immobilienwerte stiegen massiv, wovon einige profitierten, für Mieter*innen verschlechterte es jedoch die Situation. Die Umgehungsstraße durchschnitt einen Wald. Studien belegen weiterhin, dass der Verkehr auf Bundesstraßen erheblich zunimmt, wenn Umgehungsstraßen gebaut werden. Im Ergebnis zahlte die Allgemeinheit einen hohen Preis dafür, dass einzelne Betroffene entlastet wurden und sich zugleich die Situation für nicht betroffene Bewohner*innen, die Natur und zukünftige Generationen verschlechterte. So wie in dem Beispiel sind Umwelt, Klima und zukünftige Generationen meist nicht an solchen Prozessen beteiligt. Dies bringt mich zu drei Anforderungen an sinnvolle Beteiligungsprozesse für Klimaschutz. Diese haben selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch konzentriere ich mich auf »deliberative« Verfahren. Bei ihnen beraten Bürger*innen gewählte Repräsentant*innen, die letztlich entscheiden.

1. Zufallsbasierte Auswahl von Teilnehmenden erhöht Gemeinwohlorientierung

Steht ein Beteiligungsverfahren allen offen, partizipieren eher Personen, die daran gewöhnt sind, sich politisch einzubringen und deren kulturellen und ökonomischen Ressourcen ihnen das Mitmachen erleichtern. Wenn gewählte Repräsentant*innen lediglich Ideen und Feedback zu einem Plan einholen wollen, kann ein solches Vorgehen ausreichen. Geht es jedoch darum in etwa einen Querschnitt der Bevölkerung abzubilden, das Spektrum unterschiedlicher Interessen zu berücksichtigen und auszuloten, wie eine gemeinwohlorientierte Entscheidung aussehen kann, sind geschichtete Zufallsverfahren vorzuziehen. Bei diesen wird eine Vielzahl von Bürger*innen angesprochen, um sich für ein Verfahren zu bewerben. Aus den Bewerber*innen werden Teilnehmende ausgewählt, die etwa einem Querschnitt der Bevölkerung entsprechen, der sich an Kriterien wie Geschlecht, Alter, Wohnort, Bildungs- und Migrationshintergründen orientiert. Je nach Themenstellung können weitere Kriterien hinzukommen, wie etwa die politischen Präferenzen.

2. Klimaschutz muss von Anfang an (ein) Ziel eines Beteiligungsprozesses sein

Die Ergebnisse vieler Beteiligungsprozesse haben eine hohe Relevanz für den Klimaschutz. Ist jedoch Klimaschutz kein Teil des Auftrages eines Beteiligungsprozesses, fällt er leicht unter den Tisch, wie es an dem Beispiel der Umgehungsstraßen illustriert wurde. Dies liegt nicht unbedingt an Ignoranz oder bösem Willen vor Ort, sondern daran, dass eine lokale Entscheidung nur minimale Auswirkungen auf das Klima hat. In Verbindung mit vielen anderen lokalen Entscheidungen ist sie aber selbstverständlich sehr relevant. Vorgaben helfen hier, etwa dass Lösungen zu den Zielen des »Klimaabkommens von Paris« (u.a. Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter 2°C im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten) beitragen müssen.

3. Beteiligung zu Themen, die gewählte Verantwortliche allein nicht lösen können

Beteiligung ist bei Themen wenig sinnvoll, bei denen klar ist, welche Lösungen gewählt werden müssen und der Staat über die Fähigkeiten verfügt diese durchzusetzen. Dazu zählt z.B. die Reduktion von Schadstoffen in der Luft durch bestimmte Technologien. Ist jedoch umstritten, welche Lösungsansätze (bzw. beim Klimawandel wohl eher: welche Kombination von Lösungsansätzen) gewählt werden sollte und hat der Staat Schwierigkeiten regulierend einzugreifen, etwa weil verschiedene Akteure in der Lage sind, Veränderungen zu blockieren oder jede Option die Wahlchancen erheblich beschränken würde, bieten sich Beteiligungsprozesse an. Die Zukunft von Wäldern ist beispielsweise ein Thema mit hoher Klimaschutzrelevanz, bei dem sich eine Beteiligung von Bürger*innen anbieten würde: Waldbesitzer*innen, Spaziergänger*innen, Naturschützer*innen, Tiere und Pflanzen haben unterschiedliche Ansprüche an einen Wald. Wie ein Wald resistenter gegenüber den Folgen vom Klimawandel gemacht werden kann, ist auch wissenschaftlich umstritten. Ebenso die Frage, wie viel und welches Holz in Zukunft, etwa im Hausbau oder beim Heizen benötigt wird. Der Staat hat meist nur begrenzt Möglichkeiten einzugreifen, allein weil viel Waldbesitz in Privathand ist und viele Maßnahmen jeweils unterschiedliche Widerstände erzeugen können. Gut gemachte, deliberative Bürgerbeteiligung bietet die Möglichkeit Kontroversen auszudiskutieren und zu gesellschaftlich akzeptieren Lösungen zu gelangen, jenseits von Parteiinteressen. Ein ähnliches Thema ist die Vernässung von Mooren.

Weitere Erfolgsfaktoren und Fazit

Für eine erfolgreiche Beteiligung von Bürger*innen gibt es weitere Voraussetzungen. Dazu zählt etwa eine gute Moderation und Betreuung der Teilnehmenden, ein intensiver Austausch mit unterschiedlichen Expert*innen und ein klares Commitment der Auftraggeber zur Prüfung der Ergebnisse. Weitere Erfolgsfaktoren sowie Hinweise für erfolgreiche Beteiligungsprozesse finden sich in diesem Factsheet zu Bürgerräten. [1] Zum Schluss soll betont werden, dass es auf eine Kombination ankommt: Erfolgreicher Klimaschutz ist auf eine Mischung von repräsentativen Verfahren, deliberativer Beteiligung und direkter Demokratie angewiesen.


Endnoten

[1] https://publications.iass-potsdam.de/rest/items/item_6002277_6/component/file_6002326/content


Beitrag im Newsletter Nr. 25 vom 15.12.2022
Für den Inhalt sind die Autor*innen des jeweiligen Beitrags verantwortlich.

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Autor

Dr. David Löw Beer leitet die Forschungsgruppe Regionale Nachhaltigkeitstransformationen und ist Sprecher für den Bereich Demokratie und Nachhaltigkeit am IASS Potsdam.

Kontakt: David.LoewBeer@iass-potsdam.de

Web: https://www.iass-potsdam.de/de/menschen/david-loew-beer


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