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BBE-Länderforum

© Svenja Mix/ mixmalt

Die Diskussionen im Zuge des BBE-Länderforums 2021 standen im Oktober 2021 unter dem Eindruck verschiedener Krisenphänomene und mit diesen einher gehenden gesellschaftlichen Herausforderungen: Die zum Zeitpunkt der Veranstaltung seit zwei Jahren anhaltende Pandemie, die Flutkatastrophe im Sommer 2021, die Klimakrise und Polarisierungstendenzen betreffen Organisationen der Zivilgesellschaft sowie Engagierte als Teil der Gesellschaft in vielfältiger Hinsicht. Zivilgesellschaft ist – so die Annahme – allerdings nicht nur betroffen von den Krisen, sondern –leistet auch einen aktiven Beitrag zur Überwindung der Herausforderungen, die mit den Entwicklungen entlang der Krisen, Katastrophen und gesellschaftlicher Umbrüche einhergehen und gestaltet damit Prozesse der Transformation wesentlich mit. Rund 80 Teilnehmende folgten am 5. Oktober 2021 der Einladung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), unter dem Titel »Engagementförderung in den Ländern – Starke Strukturen in herausfordernden Zeiten«, um über die grundlegenden Fragen zu beraten, wie zivilgesellschaftliche Strukturen in bewegten Zeiten langfristig gestärkt werden können und wie hierfür die Engagementförderung und –politik auf Bundesländerebene gestaltet sein müsste.

Im Eröffnungsgespräch zwischen Birger Hartnuss, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, und Alexandra Ziegler, Sozialbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, moderiert durch Dr. Lilian Schwalb, Mitglied der BBE-Geschäftsführung, betonten Hartnuß und Ziegler, dass die Zivilgesellschaft weiterhin mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen habe. Nichtsdestotrotz seien aus den Bundesländern mit Blick auf bürgerschaftliches Engagement auch gute Nachrichten zu vernehmen: Die Stadt Hamburg, so Alexandra Ziegler, habe gemeinsam mit dem Aktivoli Landesnetzwerk Hamburg in einem großen Beteiligungsverfahren ihre Engagementstrategie verabschiedet und begonnen diese umzusetzen. Birger Hartnuß hob hervor, dass es gesellschaftliche Herausforderungen gebe, die weit über die aktuelle Pandemie hinausreichen würden, wie etwa die Klimakrise, der demographische Wandel oder der zunehmende Populismus. Die Bundesländer hätten erkannt, dass Zivilgesellschaft einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung von multiplen Krisen leisten könne und bereits einige Schritte zur Stärkung der Zivilgesellschaft unternommen. Es bleibe jedoch, so Hartnuß weiter, noch einiges zu tun, um Strukturen des Engagements auf allen Ebenen nachhaltig zu stärken. Das BBE-Länderforum böte hierfür einen herausragenden Rahmen. Es eröffne einen Raum zum Austausch zwischen Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mit Fokus auf die Bundesländer als Akteure der Engagementförderung. Von der Veranstaltung, so Hartnuß abschließend, erwarte er daher insbesondere auch kritische Impulse zur besseren Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Politik.

Landesnetzwerke und die Rolle des Staates

In den vergangenen Jahren gab es in mehreren Bundesländern strategische Entwicklungen hinsichtlich der Engagementpolitik. Im Rahmen der Podiumsdiskussion »Ansätze strategischer Engagementförderung: Vernetzungsstrukturen in der (Weiter-)Entwicklung« wurden diese Entwicklungen genauer in den Blick genommen. Zunächst berichtete Andreas Kersting, Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen, von der Umsetzung der im Jahr 2021 verabschiedeten Engagementstrategie des Landes NRW. Diese sei in einem zweijährigen breiten Beteiligungsverfahren mit der Zivilgesellschaft und verschiedenen Ministerien des Landes erarbeitet worden. Sie umfasse neun Handlungsfelder und definiere 56 Ziele, die notwendig seien, um das Engagement in NRW nachhaltig zu stärken. Das Land hätte mit der Verabschiedung der Strategie vier Projekte initiiert: Ein Projekt mit dem Ziel der Verbesserung der Informations- und Beratungsangebote für die Zivilgesellschaft; ein weiteres Projekt zur Kleinstförderung, um den Wunsch nach unbürokratischen Förderverfahren nachzukommen; ein drittes Projekt widmet sich der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Engagierten. Als viertes und vermutlich bedeutendstes Projekt werde das Land die Gründung eines Landesnetzwerks finanziell ermöglichen, sich indes bei der Gründung und Ausgestaltung des Netzwerks zurückhalten. Dies liege ausschließlich bei der Zivilgesellschaft selbst. Das Netzwerk sollte am 4. Dezember 2021 gegründet werden.

Graphik Recording der Veranstaltung

Thomas Röbke, als Vertreter des Landesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement Bayern und damaliger Vorsitzender des BBE-Sprecher*innenrats, führte aus, dass sich Funktion und Aufgabe von Landesnetzwerken von Bundesland zu Bundesland unterschieden. Eines hätten jedoch alle Netzwerke gemeinsam: Sie seien ein zentraler Baustein für eine nachhaltige Förderung der Zivilgesellschaft und eröffneten einer vielfältigen Zivilgesellschaft im jeweiligen Bundesland die Möglichkeit, mit einer Stimme zu sprechen. Auch aus diesem Grunde sei es wichtig, wie im Falle von NRW erläutert wurde, dass sich Politik und Verwaltung aus der Arbeit des Netzwerks heraushielten. Dies sei auch von Bedeutung, weil in Landesnetzwerken politische Forderungen und Handlungsempfehlungen an die Politik und Verwaltung formulierten würden.

In Sachsen-Anhalt, so Olaf Ebert von der Stiftung Bürger für Bürger, gebe es bereits seit mehr als 10 Jahren die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, die sich als Partner*in der Politik etabliert und dazu beigetragen habe, Vor-Ort-Strukturen zur Engagementförderung aufzubauen. Trotz ihres langen Bestehens sei das Netzwerk weiterhin prekär aufgestellt. Erfreulich sei es daher, dass sich dieses Netzwerk zusammen mit der Politik und Zivilgesellschaft in Sachsen-Anhalt auf den Weg mache, eine Engagemenstrategie zu erarbeiten. In den anderen ostdeutschen Bundesländern sei die Lage sehr unterschiedlich. In Thüringen gebe es seit fast 20 Jahren die Thüringer Ehrenamtsstiftung, in Mecklenburg-Vorpommern eine noch sehr junge Landes-Engagementstiftung. Eine Entwicklung hin zu einem Landesnetzwerk wären hier derweil nicht zu beobachten. Ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied zwischen den existierenden Landesnetzwerken in Ost- und Westdeutschland bestünde darin, dass jene in Ostdeutschland sich oft auch explizit der Demokratieförderung widmen, aber Demokratieförderung und Engagementförderung durch staatliche Akteure und Programme getrennt betrachtet werden. Die Notwendigkeit beides zusammenzudenken, wäre zukünftig stärker in Angriff zu nehmen.

(Zu den Ausführungen von Sabrina Brahms siehe ihren eigenständigen Beitrag.)

Birger Hartnuß thematisierte in der Runde noch einmal die Frage nach der Rolle des Staates bei der Errichtung und der Arbeit eines Landesnetzwerks. Es sei von herausragender Bedeutung, dass der Staat nicht ausschließlich als Förderer von Netzwerkstrukturen agiere und angesehen werde, sondern als aktives Mitglied. Landesnetzwerke würden den Raum dafür schaffen, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Chance sollte wahrgenommen werden. Ansonsten könne der Eindruck entstehen, Landesnetzwerk und Staat wären einander gegenübergestellt. Zweitens, betonte er, dass es unterschiedliche Ansätze der strategischen Förderung von Engagement in den Bundesländern gebe. Eine Engagementstrategie sei nur ein Ansatz unter vielen. So hätte Rheinland-Pfalz keine ausformulierte Strategie, aber sei in stetem Austausch mit der Zivilgesellschaft zur kontinuierlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen des Engagements.

In der Diskussion mit dem digitalen Plenum wurde erneut auf die Verbindungslinien zwischen Demokratie- und Engagementförderung hingewiesen. Beides müsse noch stärker zusammengedacht werden, um Extremismus, Populismus und der gesellschaftlichen Spaltung entgegen zu wirken.

Von der Hochwasserkatastrophe bis zum Rechtspopulismus

Im Anschluss an die Podiumsdiskussion fanden vier Workshops zu den Themen »Engagementförderung im Zuge der Hochwasserkatastrophe«, »Zivilgesellschaftliches Engagement für Klimaschutz«, »Demokratiestärkung durch Engagementförderung in Ost und West: Unterschiedlich oder doch ganz ähnlich?«, sowie »Strategien gegen rechts: Das Beispiel Hamburg« statt.

Graphik Recording der Veranstaltung

Im Workshop »Engagementförderung im Zuge der Hochwasserkatastrophe« wurde zunächst aufgezeigt wie die konkreten Hilfen von Seiten staatlicher Akteure ausgesehen haben. Rheinland-Pfalz hätte dabei seine Erfahrungen, die es im Rahmen der Fluchtbewegungen 2015 aber auch der Pandemie gemacht habe, in Wert setzen können. Das Land habe, so Birger Hartnuß, nicht nur materiell geholfen, sondern auch mit Beratungs- und Serviceleistungen. Auch Ansätze über die Katastrophe hinaus zu denken, seien verfolgt worden, etwa durch die Zukunftskongresse zum Wiederaufbau der von der Flut betroffenen Regionen. Die DSEE, so berichtet Henning Baden, habe sowohl Serviceleistungen angeboten als auch kurzfristig Förderprogramme ins Leben gerufen, um den Menschen vor Ort durch Engagement zu helfen (Präsentation von Henning Baden). Frau Haase vom Caritasverband aus Bad Neuenahr-Ahrweiler berichtete von den Eindrücken und Bedarfen der Menschen vor Ort. Die Bedeutung von stabilen Strukturen und Organisationen sei im Zuge der Flutkatastrophe erneut sehr deutlich geworden. Daher gelte es die Vernetzung voranzubringen und Netzwerke vor Ort zu etablieren. Insbesondere durch Letzteres komme Hilfe vor Ort sehr viel besser an.

Im Workshop »Zivilgesellschaftliches Engagement für Klimaschutz« stellten zunächst Linda Ammon, Allianz für Klimabeteiligung Baden-Württemberg, und Fabian Reidinger, Staatsministerium Baden-Württemberg, das Programm »Klimaschutz und Klimabeteiligung« vor (Beitrag von Linda Ammon und Fabian Reidinger). Heiko Kusche, ebenfalls Staatsministerium Baden-Württemberg, betonte in seinem Beitrag die Wichtigkeit der Zusammenarbeit von spontanen Initiativen, etablierten Organisationen und dem Staat (Beitrag von Heiko Kusche). Anschließend wurde darüber diskutiert, wie mehr Menschen für ein Engagement für den Klimaschutz und zur Bewältigung der Klimakrise gewonnen und die vielen kleinen Initiativen eine Verstetigung erfahren könnten. Starke Strukturen seien im Bereich Klimaschutz von besonderer Relevanz, da die Klimakrise eine langfristige Herausforderung darstelle.

Im Workshop »Demokratiestärkung durch Engagementförderung in Ost und West:…«, moderiert von Olaf Ebert, stellte Birthe Tahmaz von ZiviZ im Stifterverband zunächst sechs Thesen auf (Beitrag von Birthe Tahmaz). Basierend auf diesen Thesen und den Inputs von Niels Lange, Ehrenamtsstiftung Thüringen, und Thomas Röbke diskutierten die Teilnehmenden des Workshops insbesondere über das Thema ›dunkles Engagement‹. Dieses Phänomen mache es notwendig, Engagement auch normativ zu denken. Hierzu gehöre ebenso Engagement und Demokratie stärker zusammen zu denken.

Graphik Recording der Veranstaltung

Ausgehend von Beiträgen von Charlotte Wiemann (Beitrag von Charlotte Wiemann), Sozialbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Larissa Denk, Beratungsnetzwerk Hamburg, und einem Kommentar von Julia Hudy (Beitrag von Julia Hudy), Aktivoli Landesnetzwerk Hamburg, diskutierten die Teilnehmenden unter der Moderation von Martin Rüttgers (Beitrag von Martin Rüttgers) im Rahmen des Workshops »Strategien gegen rechts:…« insbesondere darüber, dass die Handlungslogik von Politik und Zivilgesellschaft in der Bekämpfung von Rechtspopulismus und -extremismus sich unterscheiden, auch wenn sie sich die Ziele decken. Gerade vor diesem Hintergrund sei es wichtig, dass Landesnetzwerke, wie etwa das Aktivoli Landesnetzwerk in Hamburg, Brücken zwischen Engagementförderung und Demokratiestärkung schlagen und diese unterschiedlichen Handlungslogiken in einander übersetzen. Inhaltlich waren sich die Teilnehmenden darüber hinaus einig, dass auch immer wieder eine Wertedebatte geführt werden muss.

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Die Folgen der Corona Pandemie für die organisierte Zivilgesellschaft

Die Corona Pandemie hält weiter an und stellt die organisierte Zivilgesellschaft vor vielfältigen Herausforderungen. Wie genaue diese aussehen, führte Simon Teune, Institut für Protest- und Bewegungsforschung, anhand der Ergebnisse einer neuen Studie des Instituts aus (Link zur Studie). Die anschließenden Diskussionen thematisierten insbesondere die Frage, in wie weit unterschiedliche Formen von Organisationen unterschiedlich von der Pandemie betroffen seien, ob die finanziellen Hilfen von Bund und Ländern dazu beigetragen hätten, die Folgen abzufedern, und welche Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen gezogen werden könnten. Eine der zentralen Schlussfolgerungen sei, dass es hauptamtlicher Strukturen bedarf, um die Herausforderungen von Krisen zu bewältigen und die Zivilgesellschaft nachhaltig zu stärken.

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Länderauswertung des Freiwilligensurveys 2019

Tobias Jaeck, Zentrum für Sozialforschung Halle, präsentiert in einem letzten inhaltlichen TOP die zentralen Ergebnisse der Länderauswertung des Freiwilligensurveys 2019 (Präsentation von Tobias Jaeck). In der gemeinsamen Diskussion wurden insbesondere die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Entwicklung des Engagements in Ost und West-Deutschland diskutiert.

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Insgesamt, so Lilian Schwalb, Gesamtmoderation zum Abschluss, hätten die Diskussionen des BBE-Länderforums 2021 gezeigt, dass die Rolle der Zivilgesellschaft als entscheidender Akteur in Krisenzeiten nicht hoch genug bewertet werden könnte. Es stelle sich daher abschließend die Frage, welche Schlussfolgerungen zu ziehen seien, damit die Zivilgesellschaft diese Rolle auch zukünftig wahrnehmen kann. Ihrer Meinung nach gelte es die Selbstorganisationskräfte der Zivilgesellschaft zu stärken und Engagementpolitik und ihre -förderung so weiter zu entwickeln, dass Doppelstrukturen vermieden werden könnten, zivilgesellschaftliche Strukturen in den Ländern langfristig gestärkt und strategisch handlungsfähig seien.

Birger Hartnuß betonte in seinem Schlussstatement, dass die Anerkennung der Zivilgesellschaft als wichtiger gesellschaftlicher Akteur eine neuere Entwicklung sei. In Anbetracht dieser sollte die Zivilgesellschaft auch selbstbewusster auftreten. Nichtsdestotrotz könne sie ihre Stärken nur in Wert setzen, wenn ihre Strukturen nachhaltig aufgestellt seien. Dies gelte vor allem für Netzwerke auf unterschiedlichen Ebenen. Die Gründung von Landesnetzwerken in Zusammenarbeit mit dem Staat seien hierfür der richtige Ansatz.

Für Alexandra Ziegler hat das BBE-Länderforum noch einmal verdeutlicht, vor welchen vielfältigen Herausforderungen die Gesellschaft stehe. In Anbetracht dessen sei es einerseits zu bewundern, wie kreativ sich Zivilgesellschaft bei der Bewältigung von Krisen zeige. Andererseits würden ebenso die Grenzen sichtbar werden. Auch sei deutlich geworden, dass Demokratie- und Engagementförderung nicht voneinander getrennt gedacht werden könnten.

Das BBE-Länderforum fand in Kooperation mit der Freien und Hansestadt Hamburg statt; Lilian Schwalb bedankte sich abschließend bei Alexandra Ziegler für die gute Kooperation.

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